Und schon geht es weiter… denn sicherlich wollt ihr wissen, wer diese Lea Baumgart eigentlich ist und vor welchen Herausforderungen sie beim Schreiben ihrer Kurzgeschichte “Opferbereitschaft” stand.
Interview mit Lea Baumgart
Ab wann war dir bewusst, dass du Autorin werden wolltest? Was hat dich dazu bewegt?
Den Berufswunsch „Autorin“ habe ich schon in der Grundschule angegeben, wenn mich jemand gefragt hat. Damals war mir das natürlich noch nicht besonders ernst. 2015 habe ich dann meine allererste Kurzgeschichte veröffentlicht und sobald ich die Anthologie gedruckt in Händen hielt, wusste ich, dass ich das Gefühl noch öfter haben wollte. In den letzten fünf Jahren sind dann noch einige Veröffentlichungen hinzugekommen.
Zum Schreiben gekommen bin ich vor allem durch die Bücher. Ironischerweise habe ich erst ziemlich spät mit dem Lesen angefangen, aber solange ich denken kann, habe ich als Kind einen Kassettenrecorder mit mir herumgeschleppt, um ununterbrochen Hörbücher hören zu können. Ich habe Geschichten immer geliebt und wollte von daher auch schon sehr früh selbst welche erzählen.
Wie kam es dazu, dass du eine Geschichte für die Anthologie “Waypoint FiftyNine” geschrieben hast? Was war der besondere Reiz an diesem Projekt mitzuwirken?
Als die Ausschreibung für WFN kam, wusste ich sofort, dass ich mitmachen wollte. Ich habe im Leseratten Verlag schon in den Anthologien Funtastik, Schnittergarn und Vikings of the Galaxy veröffentlicht und der Verlag ist mir mittlerweile richtig ans Herz gewachsen. Ich schreibe am liebsten albern und abgedreht und fühle mich daher in den Büchern perfekt aufgehoben. Das komplette Setting des WFN bot so viel kreatives Potential und ist von den Herausgebern außerdem so liebevoll ausgearbeitet worden, dass ich unbedingt Teil des Teams sein wollte.
Was hat alles an Zusammenarbeit dazugehört um das Projekt WFN gemeinsam mit den anderen zu verwirklichen?
Das Besondere an dem Projekt ist ja, dass die einzelnen Geschichten in einen größeren Kontext eingebettet sind. Obwohl also die Zusammenarbeit im Lektorat ähnlich verlaufen ist wie bei regulären Veröffentlichungen, habe ich von den Herausgebern einige Fragen und Änderungsvorschläge erhalten, die mich wirklich, wirklich neugierig gemacht haben, was da insgesamt noch beim Lesen auf mich zukommt. Von den anderen Autoren und Autorinnen habe ich bisher wenig mitbekommen, aber deshalb bin ich umso gespannter, was sie aus dem Thema gemacht haben.
Gibt es in deiner Geschichte Parallelen zu eigenen Erfahrungen, die dich dazu inspiriert haben? Bzw. woher nimmst du deine Inspiration? (allgemein)
Aus eigenen Erlebnissen geschöpft habe ich hier definitiv nicht, sonst müssten sich einige Menschen wohl ziemliche Sorgen um mich machen. Wenn ich Texte schreibe, die auf eine Veröffentlichung abzielen – also bei Ausschreibungen für Anthologien zum Beispiel – stelle ich mir zuerst immer die Frage danach, was der naheliegendste Gedanke bei dem Thema wäre. Und dann versuche ich rigoros in die andere Richtung zu marschieren. Im Fall von WFN habe ich mich gefragt, was die dubioseste Figur sein könnte, die in so einer Kneipe herumhängt. Und als erstes dachte ich an einen Auftragsmörder. Also habe ich überlegt, was das Gegenteil eines Auftragsmörders ist. Deshalb geht es in der Geschichte jetzt um jemanden, der seine Dienste als Mordopfer anbietet. Letztendlich ist es doch so, dass es viele talentierte Autoren und Autorinnen da draußen gibt und viele von ihnen reichen ihre Texte bei Ausschreibungen ein. Ich kann es nicht besser machen als alle von denen. Ich habe aber immer die Möglichkeit, es anders zu machen.
Gibt es Autoren, die dir ein Vorbild sind oder dich inspirieren?
Es gibt so viele großartige Autoren und Autorinnen, die mich auf die ein oder andere Weise beeinflusst haben, dass ich überhaupt nicht weiß, wo ich anfangen soll. (Schlimmer noch, ich wüsste vor allem nicht, wo ich wieder aufhören sollte.) Sogar aus Büchern, die einem weniger gefallen, kann man immer noch etwas darüber lernen, wie man selbst es eben nicht machen möchte. Da ich in erster Linie humoristische Erzähltexte im Bereich der Phantastik schreibe, komme ich nicht umhin Terry Pratchett zu erwähnen, dessen Romane ein riesiges Vorbild für mich liefern. Es müssen allerdings nicht zwangsläufig Bücher aus dem eigenen Genre sein, die einem etwas beibringen. Ich habe unglaublich viel aus den Romanen von Kazuo Ishiguro gelernt, wenn es darum geht, Informationen mit den Lesern und Leserinnen zu teilen, oder sie ihnen vorzuenthalten. Der Zeitpunkt, zu dem ich etwas enthülle, ist für mich als Autorin das beste Mittel, um Sympathien oder Antipathien, Verständnis oder Ablehnung bei meinem Publikum zu erzeugen. Ishiguro hat es meiner Meinung nach darin zu wahrer Meisterschaft gebracht und ich würde seine Werke wirklich jedem ans Herz legen, der etwas über das schriftstellerische Handwerk lernen möchte.
Wer sind die Helden deiner Kindheit? An welche Buchfiguren oder Filmfiguren hast du die meisten Erinnerungen?
Die allererste Buchfigur, an die ich mich bewusst erinnere, war für mich „Das Sams“ von Paul Maar. Die chaotische Komik der Bücher hatte es mir als Kind wirklich angetan. Später bin ich dann – wie die meisten meiner Generation (ich bin 1995er Jahrgang) – mit Harry Potter aufgewachsen. Ich könnte auch hier eine ewig lange Liste einfügen aus Büchern, die mich in meiner Jugend geprägt haben, aber ich könnte wahrscheinlich der Versuchung nicht widerstehen, gleich eine differenzierte Analyse derselben aus heutiger Perspektive mitzuliefern, deshalb lassen wir das lieber. Obwohl ich schon als Kind viele Filme geschaut habe, kann ich mich an prägende Filmfiguren allerdings weniger erinnern …
Wie war der Werdegang der Geschichte während des Schreibens? Welche Höhen und Tiefen hast du während des Schreibens durchgemacht?
Obwohl ich sofort wusste, dass ich einen Beitrag für die Anthologie schreiben wollte, hat es lange gedauert, bis ich die zündende Idee hatte. Die Figuren standen bereits ziemlich am Anfang fest, aber mir fehlte noch die tatsächliche Handlung, um sie darin einzubetten. Zum Glück lief die Ausschreibung ja ziemlich lange, sodass ich genug Zeit hatte, um immer wieder darüber nachzudenken. Ich gehöre zu den Autorinnen, die erst dann anfangen zu schreiben, wenn sie einen ziemlich detaillierten Plan im Kopf haben. Das Schreiben selbst lief also ziemlich glatt und innerhalb von drei oder vier Tagen war alles bereit zum Einsenden. Wie gesagt, das Hauptproblem lag eher im Finden der Handlung.
Wie sind die Protagonisten entstanden? Gab es für sie eine Vorlage oder haben sie während des Schreibens einen freien Willen entwickelt?
Mein Protagonist ist der ehemalige Finanzminister des Alterta Mondes und bei seiner Entwicklung habe ich gegen den schriftstellerischen Instinkt angekämpft. Als Autorin ist der erste Impuls, seine Figuren sympathisch erscheinen zu lassen, damit die Leser und Leserinnen sich mit ihnen identifizieren können. Schon allein deswegen möchte ich es anders machen. Gerade bei Kurzgeschichten sieht man sich dann damit konfrontiert, dass literarische Figuren sich von echten Menschen immer zwangsläufig durch ihre Unterkomplexität abheben. Selbst wenn wir einen Hintergrund für unsere Figuren entwickeln, erhalten wir niemals einen lückenlosen Lebenslauf. Wir sind immer nur in der Lage, Ausschnitte eines Lebens und einer Persönlichkeit zu zeigen. Um eine möglichst lebensechte Figur zu schaffen, kann es deshalb nicht darum gehen, das Publikum mit Informationen zu überfrachten, da das Bild ohnehin nie komplett werden kann. Es geht vielmehr darum, die Illusion von Vollständigkeit zu erzeugen. Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel hierfür jedoch in der Reduktion der Figurenkomplexität. Statt also eine ausdifferenzierte Figur mit Ecken und Kanten zu entwickeln, lege ich mich bei Kurzgeschichten auf wenige Hauptmerkmale fest und behalte diese dann gnadenlos bei. Wenn eine Figur sich aber immer einer Charaktereigenschaft gemäß verhält, sind größere Abweichungen und unvorhergesehenes Verhalten recht leicht vermeidbar. Anders ausgedrückt – ich habe mich am Anfang entschieden, den ehemaligen Finanzminister als echten Mistkerl zu schreiben und das ist er dann auch geworden.
Was war bei „Opferbereitschaft“ die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war der Schluss, da hierfür ein Perspektivwechsel nötig war. Ich habe den letzten Teil einmal komplett umgeschrieben, da selbst mir als Autorin die Pointe im ersten Anlauf noch unscharf vorkam.
Mit welchen drei Adjektiven würdest du „Opferbereitschaft“ umschreiben?
Absurd – Anders – Alkoholisch
Wie dürfen wir uns deinen Arbeitsplatz vorstellen? Herrscht dort eher das „Kreative Chaos“ oder steht alles an seinem Platz und ist perfekt durchorganisiert?
Hier trifft definitiv der Begriff „Kreatives Chaos“. Ich schreibe meist in meinem Sessel, da mein Schreibtisch so vollgestopft ist, dass mein Laptop darauf überhaupt keinen Platz mehr findet. Demnächst werde ich an dem Schreibtisch aber auch arbeiten müssen, also vielleicht ändern sich meine Schreibgewohnheiten ja, sobald er einmal aufgeräumt ist. (… aber eher nicht.)
Kannst du uns schon verraten welche Projekte für die Zukunft geplant sind?
Im Augenblick steht das Lektorat für zwei Bücher an, für die es allerdings noch keinen festen Erscheinungstermin gibt. Außerdem bleibt abzuwarten, wie es mit meiner Serie weitergeht. Und Kurzgeschichten kommen auch noch eine ganze Reihe allein dieses Jahr. Es bleibt also spannend. Derzeit ruhen meine Schreibprojekte jedoch aus privaten Gründen vorübergehend.
Wie wichtig sind dir Rezensionen? Liest du sie und wie gehst du mit Kritik um?
Rezensionen sind meiner Meinung nach sehr wichtig, schon allein, um die Aufmerksamkeit neuer Leser und Leserinnen zu generieren. Ich lese Rezensionen auch, obwohl ich mich das ein oder andere Mal schon darüber geärgert habe. Ich bin aber viel zu neugierig, um es zu unterlassen. Letztendlich hilft es, sich daran zu erinnern, dass jede Bewertung von Kunst subjektiv erfolgt. Eine Geschichte muss nicht zwangsläufig schlecht sein, nur weil sie jemandes Geschmack nicht getroffen hat. Kritik kann natürlich auch hilfreich sein, um sich zu verbessern, aber ich denke, wenn es um etwas Persönliches wie das Schreiben geht, wird niemand gerne negativ kritisiert. Aber im Grunde ist es ja so, dass ich für mich selber schreibe und nicht (nur) für andere. Ich glaube nicht, dass ich aufhören könnte zu schreiben, selbst wenn ich wollte. Welche Auswirkungen also hat eine schlechte Rezension schon auf mich? Sie wird mich schließlich nicht vom Schreiben abhalten, also ist es wohl sinnlos, sie sich zu sehr zu Herzen zu nehmen. Umgekehrt freue ich mich aber wahnsinnig über positive Rezensionen!
Waypoint FiftyNine – Anthologie
In der Anthologie des Jahres 2020 entführen wir die Leser zusammen mit den beiden Herausgebern Günther Kienle und Jörg Fuchs Alameda zu einem wilden Tag voller Geschichten in die verrückteste Weltraumkneipe der Galaxie, das Waypoint FiftyNine. Zwei nicht immer nüchterne Herausgeber und 20 Autoren aus der deutschsprachigen Funtastikszene bereiten mit ihren Storys einen direkten Angriff auf das Humorzentrum der Leser*innen.
Hier der Klappentext:
[Leise, psychedelische Fahrstuhlmusik]
»Wenn dir mal wieder die unendlichen Weiten des Weltraumes zu viel werden und dich die Sorgen zu überwältigen drohen: Komm zu uns. Wir servieren dir mit einem Lächeln und einem offenen Ohr den Drink deiner Wahl.«
[Einblendung]
Waypoint FiftyNine
[Slogan erschallt]
»Vergiss deine Sorgen … [Panflötengesäusel] … Waypoint FiftyNine … [Engelschor erschallt] … wir halten uns an die intergalaktische Schweigepflicht und sagen nichts davon deiner Frau, Mann, KI, Versicherungsvertreter, Kopfgeldjäger, Verleger, Mechaniker, Schneider, Einhorn, Diebin, Nonne, Xenomorphen, Geheimagenten, Gevatter, Struwwelpetra, Gebrauchtschiffhändler, Weihnachtsmann, Reiseveranstalter [Alamedisches Triangelinferno] … im Waypoint FiftyNine sind wir für dich da! [Kienlisches Riff der Hölle]«
[Einblendung des Kleingedruckten]
Diese Schweigepflicht gilt nicht für die engagierten Autoren*innen des Leseratten Verlages von der Erde, aber hey, wer würde schon glauben, was diese Freaks so erzählen?
Aus den vielen tollen Einsendungen haben es so folgende Autoren mit ihren Geschichten ins Buch geschafft:
Dennis Frey – “McGintleroy trinkt”
Lea Baumgart – “Opferbereitschaft”
Dorothee Stern – “Von Pest und Maden und Wollsocken”
Jasmin Aurel – “Von Maden und Halunken in Spelunken”
Nele Sickel – “Kleider machen Leute”
Jessie Weber – “Die himmlischen Schwestern”
Jacqueline Mayerhofer – “Das Schicksal einer Diebin”
Wolfgang Schroeder – “Krankheitsvertretung”
Sandra Florean – “Die Vergessenen”
Alvar Borgan – “Kampfstern Rot Weiß”
Veronika Lackerbauer – “Von Spookies, Spoylent Green und einer interstellaren Kreuzfahrt”
Nob Shepherd – “Edelgard”
Katja Rocker – “Queerdenker”
Lukas Wesslowski – “Am Ende kommt das Ende”
Tanja Kummer – “Exkursion 0 8 15”
Renée Engel – “Alles ist relativ”
Isabell Hemmrich – “Die Op(era)tion”
Florian Krenn – “Der Verräter”
Peter Michael Meuer – “Die Bar am Ende des Regenbogens”
Laurence Horn – “Schildhalla”
Das alles eingebettet in eine Rahmenhandlung von Günther Kienle und Jörg Fuchs Alameda.
(Quellenangabe: Leseratten Verlag)
(Erscheinungstermin: 14.09.2020)
Infos zum Buch
Herausgeber: Günther Kienle, Jörg Fuchs Alameda | Originaltitel: Waypoint FiftyNine | Verlag: Leseratten Verlag (14. September 2020) | Seitenzahl: 504 | Genre: Fantasy | Science Fiction | Covergestaltung: © Chris Schlicht | Softcover mit Klappen, broschiert: 978-3945230497 | 20,00 €
Lea Baumgart
Lea Baumgart ist Autorin zahlreicher Kurzgeschichten, von denen bereits mehrere im Leserattenverlag erschienen sind. Sie publiziert außerdem eine humoristische Science Fiction Reihe unter dem Titel “Vom Mond aus links”.
Ihr neueste Projekt ist jedoch die Promotion im Fachbereich Literaturwissenschaft.
Ihr Forschungsinteresse gilt Erzähltexten mit gebrochenen Realismuskonzeptionen und ihre Liebe der phantastischen Literatur. Darüber hinaus hält sie sich selbst für ziemlich witzig.
Facebook-Seite der Autorin: https://www.facebook.com/Lea-Baumgart-438045723668066
(Quelle Autorenfoto + Infos: © Lea Baumgart)
Galaktische Grüße
eure Elchi
Transparenz:
Dieser Beitrag so wie diese Aktion entstand in Kooperation mit dem Leseratten Verlag und der Autorin Lea Baumgart.
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